Wir wollen den Messias jetzt Von Franzobel JESUS mittendrin, sich zwischen Raja und der
Alten selbst kreuzigend (vielleicht fallen allmählich auch die anderen ein,
sodass der Text am Schluss von allen gesprochen wird, es plötzlich sehr viele
Selbstkreuziger gibt) Ich wusste ja, dass Gott mir beistehen wird. Dabei
habe ich mir den Messias ausgedacht, wie sich die Kirche das Paradies
ausgedacht hat und Raja ihre Nahost-Vergangenheit. Dieses Schiff habe ich
nicht gebaut, weil eine Sintflut kommt, sondern weil ich es mir ausgedacht
habe, weil ich ein Zeichen setzen wollte, etwas woran man glauben kann. Damit
die Menschen zu sich selbst finden, zu einem Sinn. Immer dasselbe, erst haben
sie Sehnsucht nach Geschichte, sehnen sie die Revolution herbei, die große
Reinigung, den Aufbruch, und dann? Dann beklagen sie die Toten, weinen Rotz
und Wasser. Dann wollen sie nicht dabei gewesen sein. Und du? Glaubst du oder
nicht? Und du? Wie hältst es du mit Gott? Oder willst du immer noch
Revolution? Das Wort verächtlich
aussprechend Revolution, Revolution! Ich bin nicht gekommen, hier einen
Aufstand anzuzetteln oder euch Verantwortung zu nehmen. Gott ist kein
Allmächtiger, kein Kraftlackl, kein Revolutionär. Inkontinent ist er wie eine
Omama, hat Wasser in den Beinen, eingefallene Backen, blass wie eine Leiche,
haucht: "Es hilft alles nichts, irgendwann kommt für jeden seine Zeit,
irgendwann muss jeder gehen." Und ihr? Anstatt euch eurer Zivildienerpflicht
zu besinnen, schickt ihr nach dem Pfarrer zwecks der letzten Ölung. Gott ist
eine alte Omama, hängt an Infusionsflaschen, und wenn wir nichts tun,
verreckt er, werden wir untergehen im Chaos revolutionärer Unmoral, weil wir
ihn nicht einmal am Sterbebett besuchen. Oder er stirbt, umarmt uns, und wir
können uns aus seiner Leichenstarre nicht mehr lösen. Und du? Glaubst du
wirklich? Und du? Wie hältst du es mit Gott? Oder hast du Sehnsucht nach der
Katastrophe? Das Wort verächtlich
aussprechend Revolution, Revolution! Na, was ist? Statt euern Hintern
hochzukriegen, einmal selbst etwas zu tun, wollt ihr an Erlösung glauben, an
Geschichte, an Umwälzung. Das Wort
verächtlich aussprechend Revolution, Revolution! Aber ihr braucht keine
Erlösung und ihr bekommt auch keine, weil es sie nicht in der Lotterie zu
gewinnen gibt. Und wehe denen, die sich vorm Zivildienst drücken. Wenn Gott
wenigstens wieder in einen Rollstuhl gesetzt und in die Sonne geschoben
werden könnte. Wir sind die Zivildiener Gottes, seine Kinder, wir müssen ihn
in uns aktualisieren. Wir alle sind Söhne und Töchter Gottes, jeder einzelne,
auch du, auch du, auch du. Jeder kann erlösen! Jeder! Jeder ist ein Heiland
und in jedem steckt ein Gott, ein Paradies, ein Himmelreich. Ihr müsst euch
nur erkennen. Trauen! Ihr werdet nicht errettet, sondern ihr rettet. Gott,
die Moral, die Schönheit, die Kraft, das Gute und die Summe aller Omamas
kommen von euch! Von euch! Verwirklicht euch, verschiebt nichts mehr auf
morgen, flüchtet euch nicht in Revolutionssehnsucht. Werdet Omamas! Lasst
alles zu! Ja, das ist platt, aber ich kann jetzt nicht mehr originell sein.
Dafür sterbe ich nicht. Ich habe überhaupt keine Zeit zum Sterben. Nein, ich
sterbe nicht und ich werde auch nicht auferstehen. Ich lebe! Ja, ich lebe!
Hurra! Jemand wirft eine Zigarette weg, die Reste der Arche
gehen in Flammen auf. ALLE tragen Jesus hinaus, stopfen ihn in einen
Müllcontainer, setzen sich darauf Er ist nicht mehr da. Sein Grab ist
leer! Er ist auferstanden! Für uns hat er sich hingegeben. Für uns! Er hat
uns erlöst! Erlöst! Für uns! Unsere Sünden sind gelöscht! Wir sind erlöst!
Erlöst! Dank ihm. Nachspiel MUTTER Aber so
können wir nicht aufhören, wir wollen doch den Leuten etwas mitgeben, etwas
Positives, Aufwühlendes, Glaube. Daher hat sich wer entschlossen, heute Abend
eine Ausnahme zu machen und hier auf dieser Bühne zu erscheinen, um sich uns
für ein paar Fragen zur Verfügung zu stellen. Ich bitte um einen kräftigen
Applaus für –. Für? El Maestro himself! El grande Kapazunder! Gott! Konserven-Applaus. Gott sieht aus wie Heiner Müller, eckige Hornbrille,
Zigarre, Whiskyglas, fettiges Haar. Beiden wenden sich einer Kamera zu und
verlassen heiter plaudernd allmählich die Bühne. MUTTER Gnädigster
Gott, Sie haben einmal gesagt, dass Sie Schwierigkeiten hätten, mit ihrer
Berühmtheit fertig zu werden. GOTT Das stimmt.
Ich habe mir schon oft vorgenommen, keine Interviews mehr zu geben und die
Erscheinungen weg zu lassen, aber ich bin nicht konsequent genug. Ich bin zu
eitel. MUTTER Sie haben
auch einmal gemeint, Sie könnten Massen schlecht vertragen. Können Sie das
erläutern? GOTT Es ist nicht
so, dass ich Angst hätte, aber ich habe kein Umarmungsverhältnis zu
Menschenmassen. MUTTER Bei ihrem
letzten Auftritt wurde nicht nur geklatscht, sondern auch gepfiffen. GOTT Ich bin kein
Volkstribun. Ich kann nicht mit fünf Milliarden Menschen reden und sagen "Mein
Volk", weil es ist nicht mein Volk. MUTTER Wie wollen
Sie das Misstrauen gegen Sie abbauen? GOTT Indem man zu
den Menschen geht, in die Betriebe, wenn es sein muss, redet, kleine
Geschenke verteilt, Kugelschreiber, Taschenkalender, das Übliche. Es kann gut
sein, dass man dort verprügelt wird, aber man muss es probieren. MUTTER Können Sie
sich vorstellen, wie künftige Generationen auf die Schöpfung reagieren? GOTT
Wahrscheinlich werden die sagen "so ein Quatsch!" und dann kann man
reden. Aber ich weiß gar nicht, ob ich die Schöpfung retten will. Die
Schöpfung hat es nie gegeben. Das war eine Idee im Hinterkopf von
Intellektuellen. Als Realität war es die Kolonisierung der Bevölkerung, aber
eine Schöpfung –? Ich weiß nicht –. Vielleicht. Na, man wird sehen. Ich habe
jedenfalls den Fehler gemacht, mir zu viele Pornos anzusehen, zu viele
Fellatios, immer wenn ich in die Gesichter von Betenden sehe, muss ich daran
denken, dass jetzt gleich der weiße Saft kommt. Na ja, das habe ich jetzt
davon –. Anhang Monolog für Raja Welchen Vorteil
hat der Mensch von seiner Mühe, dass er sich abplagt Tag für Tag? Ein
Geschlecht geht, ein Geschlecht kommt, und die Erde steht. Strahlt die Sonne
auf, kommt hinab, sie strebt zu ihrem Ort, dort verstrahlt sie und ist
glücklich im Vergehen, wie alle Kreaturen, alle Flora und Fauna nur nach
jenem einen Glücksmoment sich sehnt, nach dem Zerbröseln, aufgelöst sein im
Vergehen. Man vergeht sich nicht, man kommt wo an, wenn man vergeht, ist man
am Ziel. Alle Bäche gehen zum Meer, zerlaufen dort, vergehen. Und das Meer
ist keinmal voll – obwohl doch soviel stirbt in ihm. Nicht sättigt das Auge
sich am Sehen, nur im Erblinden sieht es sich. Nicht hört das Leben auf, wenn
es sich schließt, nein, es beginnt. Was im Sein war, ist was sein wird schon
gewesen, und was man tat, ist als was man tun wird schon getan. West ein Ding
davon, so ist es alles schon gewesen, wird ein Gedanke ausgedacht, ist er
erst erfüllt und wahr. Darum Vergehen. Vergehen, endlich aufgelöst sein,
nichts mehr halten müssen, nur vergehen, vergehen. Man vergeht sich nicht,
man kommt wo an, wenn man vergeht, ist man am Ziel. Hat man alles Tun
gesehen, das unterm Himmel ward getan, kann man vergessen es, vergehen, Dunst
der Dünste werden, Dunst. Selber vergessen sein, dass nichts zurückbleibt,
nichts, das ist das größte Glück. Es gibt für alles eine Zeit, fürs Pflanzen,
Lachen, Niederbrechen, Klagen, aber immer ist es Zeit auch zu vergehen,
angehaucht zu werden vom warmen Odem namens Tod, Dunst der Dünste werden,
Dunst. Besser ist der Ausgang einer Sache als ihr Anfang. Darum Vergehen,
Dunst der Dünste werden, Dunst. CHOR Die Sonne
war einst ein Mann, aus dessen Achselhöhle das Licht herauskam. Wenn er die
Achsel hob, wurde es Tag, und wenn er sie wieder sinken ließ, wurde es Nacht.
Hoch. Nieder. Tag. Nacht. Und so entstand vor einer Million Jahren aus
chemischen Verbindungen Protoplasma, das erste, noch unausgebildete Leben im
Meer, und vor 500 Millionen Jahren Einzeller, Amöben und Algen. Dinosaurier
vor 200 Millionen Jahren, die ersten Säugetiere, schließlich vor 500 000
Jahren affenartige Menschen und vor 100.000 Jahren die ersten
Steinzeitmenschen, und vor vielleicht 10 000 Jahren endlich wir, die wir noch
immer hoffen und hoffen und hoffen und hoffen und hoffen und hoffen und
hoffen. Aber wir hoffen nur auf uns und das ist unser Fehler. Schade
eigentlich. |
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franzobel wurde 1967 als franz stefan griebl geboren.
er veröffentlichte zahlreiche dramen, kinderbücher, gedichte und romane,
u.a. "scala santa oder josefine wurznbachers höhepunkt"
(2000), "das fest der steine oder die wunderkammer der exzentrik"
(2005).
weitere informationen auf seiner website. >> der vorliegende abschnitt
aus franzobels drama "wir wollen den messias jetzt oder die
beschleunigte familie" wurde vom autor für diese website zur verfügung
gestellt. |