Pepi Prohaskas Psalmen

Von Peter Henisch

 

1

Gott, was ist los?
Ich rufe nach Dir
und Du antwortest nicht

Ich schreie nach Dir,
aber ich höre nur das Echo meiner Stimme

Was ist los Gott?
Du bist so fern
und warst schon so nah

Hast Du die verlassen,
die sich auf Dich verlassen haben,
hast Du Dich einfach verflüchtigt
und uns zurückgelassen
Deine armen Irren? /

Ja, hier irren wir umher,
zwischen Supermärkten und
Fastfoodbuden

Keine Erde mehr unter den Füßen,
kein Himmel mehr über dem Kopf,
nichts als Beton und Neon

Die Fluchtwege sind markiert,
aber sie führen nicht zu Dir

Wo bitte geht's hier zu Gott?
Wer Dich ernsthaft sucht
ist eine Lachnummer /

Wohin sind wir geraten?
Die Unbedarften
haben keinen Bedarf nach Dir

Sie reißen das Maul auf
und schütteln den Kopf über mich

Sie kaufen ein und verkaufen,
sie stopfen und schütten Festes und Flüssiges in sich hinein,
sie machen kleine und große Geschäfte

Alle Ortsgeister haben sie ausgetrieben,
ganz zu schweigen von Deinem Geist
Wo bist Du, Herr?

 

2

Kann es denn wirklich sein
daß Deine Stimme nicht durchkommt,
durch diese Atmosphäre
aus Dreck und Lärm,
in die wir geworfen sind,
von Mutterleib an –
Deine verlorenen Kinder?

Von früh bis spät zugeschüttet mit
vertrottelnden Rhythmen
und blöden Sprüchen,
allenthalben umgeben
von zappelnden Bildern

Da ist kein Entkommen,
fürchte ich manchmal
Wo willst du denn hin?
fragen sie mich
Hier hast du doch alles
Hier bekommst du doch
jeden Tag mehr

Wenn ich um Hilfe rufe,
halten sie mich für verrückt
Ich schreie trotzdem,
ich verlange nach Gott
Nein, sagen sie, das ist nicht normal

 

3

Alles piepst ­–
diese Welt, die ich kommen sehe,
kommen höre:

Eine große
und überfüllte
Leere

Eine globale
Flipperhalle

Wir sind alle
so happy,
sagen die letzten Menschen
und zwinkern
einander zu

­– diese Bewohner
des weltweiten Dorfs
Bunte Kuh –

alle so happy,
alle so gleich

Die Welt,
ein einziger Wirtschafts-
und Freizeitbereich,

durchkreuzt von Fitneßparcours
und Erlebnispfaden

Abweichend denken,
kann der Gesundheit schaden

Die doors of perception
so was von zu,
es ist nicht zu fassen

Das ist deine Welt,
das heißt eine Welt:
Von Gott verlassen

 

4

Gott ist tot –
nein diese Meldung
ist nicht mehr besonders
originell

Das liest man inzwischen
auf Pissoirwänden,
falls man
Sätze
aus so vielen Wörtern
noch zu erfassen
imstande ist

Gott ist tot (Nietzsche)
Nietzsche ist tot (Gott)
Wie witzig

Vorausgesetzt,
daß man noch weiß,
wer die beiden Herren sind

Was Gott betrifft,
wäre es vielleicht angebracht,
eine neue Meldung in die Welt zu setzen

(Wort des Propheten
Prohaska,
des unverbesserlichen Optimisten)

Gott ist nicht tot,
aber er schläft
und zwar offenbar schon sehr lang

Die Kirchen haben ihn schlafen lassen
Wir sind da, um ihn zu wecken

 

5

Ach ja Gott, Du schläfst,
aber nicht den Schlaf
des Gerechten schläfst Du

Bist uns davongeschlafen,
nach Abschluß von Verträgen,
nach Abgabe von Versprechen

Und liegst nun
seit weiß der Teufel wie lang
auf dem Ohr

Ist es das linke Ohr,
ist es das rechte?
Auf dem anderen mußt Du jedenfalls taub sein /

Denn unsere Anrufe
hörst Du schon längst
nicht mehr

Und auf angeblich von dir abgesegneten
Schriftstücken steht:
Nach Diktat verreist

Was ist denn das für ein Schlaf, Gott?
Ein Fluchtschlaf ist das, wenn Du mich, Deinen Knecht fragst,
ein traumatischer Schlaf!

Ein Schlaf, der nicht gut tut,
nicht Dir und nicht denen,
die Dich brauchen /

Den Schlaf des Gerechten schläfst Du
nach getaner Arbeit?
Das nehme ich Dir nicht ab!

Wo sind Deine alten Träume,
die Du noch guten Gewissens
träumen konntest?

Die Heilsgeschichte,
angeblich abgeschlossen,
in Wahrheit abgerissen

Oder ein wahrhafter
film noir:
Nichts mehr
als schwarze Kader

 

6

Wach auf Gott, guten Morgen, schau, Deine Sonne erscheint,
ein roter Ballon, bejubelt von Amseln, begleitet von Lerchen
Über dem tiefen Boden Dein hoher Himmel,
über Brennesselstauden und Klettengesträuch

Ja Gott, auch hier, vielleicht gerade hier, ist der richtige Ort,
für Dein Comeback, erinnere Dich Deiner berühmten Epiphanien
Und deiner starken Worte: Ich bin der ich bin zum Beispiel
Oder wolltest Du sagen: Ich werde der ich werde?

Deine Sonne erscheint, jeder sieht sie aus seinem Weltwinkel,
dieser entfesselte Ballon, heiß wie sonst nichts auf der Welt vor Lust & Liebe,
schon so zeitig, ja gerade noch rechtzeitig, ja, in aller Schöpfungsfrühe
Siehe, hast Du gesagt, ich mache alles neu

 

7

Du Gott aus der Wüste,
Du Gott aus der Steppe,
Du Gott, ja, Du Gott der Peripherie!

Immer von den Rändern her
oder nach den Rändern hin

Klar kommt es vor,
daß Du einen Propheten
ins Zentrum schickst,
den Stotterer Moses, zum Beispiel
zum Pharao

Aber die Botschaft,
die er dort ausrichten soll,
ist eindeutig zentrifugal:
Let my people go /

Die Kerker,
in die man Dich einmauern will,
Jerusalem,
Rom,
diese Stätten der Eitelkeit

Dir,
der in Dornbüschen glost
und dem Volk als Feuersäule voranweht,
eine Torheit oder ein Ärgernis

Dort wird man Dich selten finden
und Deine Gesandten
packt heiliger Zorn,
schon in den Vorhöfen
der Tempel

Holt mich hier raus, sagst Du
Oh ja, wir hören Deine Stimme
Okay, Herr, wir tun, was wir können

 

8

Hier will ich Dich preisen, Herr
hier will ich zu Dir hinauf,
so hoch ich kann

Ja, aufs Dach
dieser alten Fabrik,
das ist ein Ort der Kraft

Und noch höher hinaus will ich,
higher & higher

Näher
mein Gott zu Dir
bis an die Krone
des Schlots /

Die Leiter ist rostig,
na und?
Sie wird schon noch halten

Nennt man das Gottvertrauen?
Ach, ich kenne Dich doch!
Du läßt mich nicht abstürzen

Mich,
Deinen glücksbringenden Rauchfangkehrer,
Deinen Muezzin

Du läßt mich nicht abstürzen
Noch nicht
Ich muß ja noch einiges verkünden

 

9

Stimme eines Rufers in der Wüste?
Nein, tut mir leid, meine Lieben, das ist falsch übersetzt.

Stimme eines Rufers:
In der Wüste
bereitet den Weg …

Na also,
sagt Gott,
endlich ist der Groschen gefallen,
lang genug hat es gedauert

Apropos Groschen
Die Interpretation der Geschichte mit der Steuermünze
ist ja auch ein grobes Mißverständnis /

Um nicht zu sagen
eine bodenlose Chuzpe

Benutzt von den Kollaborateuren
mit den jeweiligen Okkupationsmächten

Die Bibel nennt diese Typen
die Herren dieser Welt

Wer Ohren hat, der höre!
Manchmal muß Gott durch seine Propheten
Tacheles reden /

Also wie war das?
Sollen wir dem Kaiser Steuer zahlen?
fragen die Pharisäer

Wes ist das Bildnis? fragt Jesus
(für einen frommen Juden
ist diese Abbildung ja sowieso ein Skandal)

Du sollst dir kein Bildnis machen
Läßt einer sein Gesicht auf Münzen prägen,
dann soll er sich diese Münzen in den Arsch schieben

Soviel zum Verständnis des Satzes:
Gebt dem Kaiser,
was des Kaisers ist

 

10

Du hast mir Sehkraft gegeben, Gott
Nun sehe ich manchmal
etwas mehr als die anderen

Viele sind blind und taub heutzutage
Ich rede nicht
von der Blindheit und Taubheit
der Augen und Ohren,
sondern von jener
der Seelen und Herzen

Ein bißchen hellsichtig bin ich,
ein bißchen hellhörig wohl auch,
höre das Gras wachsen,
hier draußen,
ja wirklich,
es knistert,
sehe die Sonne darüber,
die Tautropfen glitzernd,
höre die Feuerwanzen laufen,
die Kohlweißlinge flattern,
früh am Morgen,
da klingt das Getöse
von der Ausfallstraße
noch fern

Spüre
die rissige Erde unter
den Fußsohlen,
rieche
den Duft all der Kräuter,
die anständige Menschen
für Unkräuter halten,
schmecke
den guten Geschmack
der Brotrinde,
übriggeblieben
von gestern abend,
der Bissen eingetaucht,
die Schüssel ausgetunkt /

Wir haben
gegessen,
getrunken,
gelacht,
getanzt
& einander geliebt,
so lang es noch geht

Der Wind weht Abgase
in meine Nase,
Chemie
brennt in den Augen
Schau,
die Lerche
über dem Stoppelfeld,
hör,
wie sie jubelt
Ich weiß,
daß die Bagger kommen
Ich weiß

 

11

Gott, jetzt hör zu,
Du gehst uns, verdammt nocheinmal, ab

Erinnere Dich an uns, Alter
Und erinnere Dich Deiner selbst

Willst Du denn wirklich,
daß die Idioten sich freuen,
die sagen,
Gott ist nichts als ein Gespenst?

Kannst Du das wirklich mitansehen,
eine Welt,
in der man tagtäglich
gegen Deinen Geist frevelt? /

Hast Du tatsächlich
vergessen
wer Du bist?

Nicht nur eine vage Erinnerung,
sondern ein konkretes Versprechen?

Willst Du sie so blamieren,
Deine Propheten?

Entschuldige, Gott,
aber das kann nicht Dein Ernst sein? /

Keiner wird zu Schanden,
der Deiner harret

Was gibst Du uns solche Sätze ein,
Nur um uns zu Narren zu machen?

Schon recht, Gott, hier sind wir
und warten,
Deine neuen Närrinnen & Narren

Schick uns ein Zeichen,
Du hast ja einiges Altbewährtes auf Lager
Wie wärs mit einem Regenbogen?

 

12

Gott in diesen Augen,
Gott in diesen Ohren,
Gott in dieser Nase,
Gott in diesem Mund

In diesen Schultern Gott,
natürlich,
In diesen Brüsten,
ja klar,
In jedem dieser Finger,
In jeder dieser Zehen

Gott auf der Haut,
Gott in den Haaren,
Gott auf der Stirn
Gott im Hirn,
eine Hoffnung

Gott in den Armen
Gott in den Beinen,
Gott im Bauch,
ein tiefsitzender Glaube

Gott in diesem Nabel,
Gott in diesem Schoß,
Gott in diesen Küssen,
von oben bis unten

Liebe, Liebe, vor allem Liebe,
sagt Jesus, schreibt Paulus, singen die Beatles
Na wenn das keine
gute Gesellschaft ist

 

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peter henisch wurde 1943 in wien geboren. studium der germanistik, philosophie, geschichte und psychologie. freier schriftsteller seit 1971. veröffentlichungen u.a. "die kleine figur meines vaters" (1975), "pepi prohaska prophet" (1986), "steins paranoia" (1988), "morrisons versteck" (1991), "vom wunsch, indianer zu werden" (1994), "schwarzer peter" (2000), "die schwangere madonna" (2005), "eine sehr kleine frau" (2007). "pepi prohaskas psalmen" erschienen in der neuausgabe des romans "pepi prohaska prophet" (2006) bei residenz und wurden vom autor für diese webseite zur verfügung gestellt. >>