psalm von SAID herr |
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der engel und die taube von SAID plötzlich hörte
die straße auf. und ich entdeckte hinter mir ein haus. ich hatte keine
ahnung, daß es mir gefolgt war. an die tür gelehnt stand ein engel –
gelangweilt, und feilte sich die fingernägel. er fragte mich, wonach ich
rieche. jasmin oder
minze, überlegte ich. minze ist besser. sie vertreibt auch schlangen. und diese
weilen oft in der nähe der engel, sagt man. kaum sprach ich
das aus, läuteten glocken. der engel nahm
seine flügel ab, faltete sie ordentlich zusammen, legte sie vor die tür und
sagte: "einen augenblick bitte!" dann verschwand
er im haus. ich überlegte
kurz, ob ich die flügel an mich nehmen sollte – zu lange. die tür ging auf,
ein anderer engel trat heraus: "sie wünschen?" und er streckte
die hand aus. wahrscheinlich wollte er mich nur einmal berühren; engel haben
zuweilen solche kuriosen wünsche. ich machte den
mund auf, aber hinter mir gurrte eine taube. ich drehte mich
um, die taube flog auf. als ich mich
wieder umdrehte, war auch der engel verschwunden. ich klopfte an
die tür. keine antwort. ich öffnete die tür und stand auf einer brücke. auf
der anderen seite der brücke standen die zwei engel und meine taube und
blickten herüber. ich wollte grüßen. doch plötzlich kam aus meinem mund eine
sprache, die ich nicht verstand. mein erster
gedanke war: wer hat mir das angetan? |
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SAID wurde 1947 in teheran geboren und kam
1965 als student nach münchen. er veröffentlichte zahlreiche gedichte, etwa
den band "sei nacht zu mir" (1998) oder "außenhaut binnenträume"
(2002), prosa u.a. "dieses tier, das es nicht gibt" (1999),
"landschaften einer fernen mutter" (2001), "das rot lächelt,
das blau schweigt. geschichten über bilder" (2005), sowie essays wie "ich
und der islam" (2005). seine "psalmen" erschienen 2007 bei c.h.
beck. >> |
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