feder und flügel
qalam wa dschanāħ
قَلَم وجَناح

von semier insayif
مِن سَمير إنصَيف

 

tinte ­– ħibr –حِبر
wischt sich schwarz ins blatt
die reise – as-safar – ألسَفَر
haftet an den fasern
deiner sogenannten seele
in ihren fugen fließen flüsse
ufer schilf und sonnen
أنهار ضِفاف قَصَب و شُموس
anhār đifāf qaşab wa schumūs
abgezeichnet träumt sie
außerhalb von plätzen
fern von orten deiner wahl
nicht in kirchen
  ما فى ألكَنائس
mā fi-l-kanāis
nicht in tempeln
ما فى ألمَعابِد
mā fi-l-ma´ābid
unbestimmt und fremd geblieben
unterwegs im schatten alter mauern
unter birken pappeln buchen
unter dattelpalmen balamuteichen und ölbäumen
تَحْتَ أشْجَار ألبَلّوط و ألزَيتون و ألنَخْل
taħta aschdschār al-ballūŧ wa az-zaītūn wa al-nachl
nicht in synagogen
ما فى ألكَنائس أليَهودية
mā fi-l-kanāis al-jahūdīa
nicht in moscheen
ما فى ألمَساجِد
mā fi-l-masādschid
ihre spur bricht
ab und auf im geist
dich wieder zu erfinden
deine zelte abzureißen
zurück bleibt nur der leere platz
und die erinnerung
و ألذِكرى
wa al-ðikra
im gesicht verzeichnet
taucht papierbehangen
dieses eine wort auf
 هَذِهِ ألكَلِمة ألواحِدة
hadhihi al-kalima al-wāhida
kratzt sich ins getriebe deines denkens
eingefangen in der flachen hand
أليَد ألمَبسوطة
al-jad al-mabsūŧa
legt musterhaft sich eilig trocken
weiß transparent sich auf dem stimmband
وَتَر صَوتي
uatar şaūti
ruft dich auf geladen mit der spitze
seiner zeile gegen sich gewendet 
schwingt sein lippenloses maul
dir ans eingekochte herz
يَا قَلبِى
yā qalbi
schluckt mund
gerecht und unsichtbar
durchs ohrgeflecht den stillen raum
سُكون
sukūn
sucht abgeklärt die macht in dir zu greifen
die übernahme rechnet bis zum ende
إلى ألنِهاية
ila al-nihāja
fängt sich so
am anfang hebend auf
فى ألبِداية
fi-l-bidāja
geschlossen weit und kahl und
offen – maftūħ – مَفتوح
bleibt die frage stehen
wessen sehnsucht
شَوق مَن
schaūq man
reist in versen hinterher
wer hat sie eingespeist in dich
und wie und wo und was
gilt es spielend zu entdecken
auf deinen monitoren
monolitisch spiegeln
displays bleichgesichter wider
ungebrochen glaubt dein kind
im kern beharrlich
فى ألنَواة
fi-l-naūāt
und trotzt besessen jedem zweifel
denn die antwort
ألجَواب
al-dschaūāb
wär sein ende
und die frage ist die antwort
und die antwort ist die frage
die sich stellt
wer zieht jenen stecker
auf dem weg zur reise?
أي تَريق ؟
ai tarīq?
welcher weg?
wenn nicht nur am blatt papier
das wort seele seiner tinte fliehend
leicht entrinnt
ألكَلِمة هِى الرُّوحْ
al-kalima hia ar-rrūh
dann wird die federspitze flügelhaft
zum abdruck ihrer selbst

Printversion (pdf)

 

Hörversion (mp3; ca. 4 MB; ca. 5 min)

Gelesen vom Autor.
Dazu:
"die vorsichtige anmerkung einer leisen ahnung" >>

 

 

noch ist es nicht
يَا بَغْدادَتِى
yā baghdādati

 

von semier insayif
مِن سَمير إنصَيف

 

noch ist es nicht
schon zu spät

يَا بَغْدَاد
yā baghdād
oh bagdad

das pfeifen und sirren der kugeln
das schreien und seufzen der mäuler
durchdringt deine körper von außen nach innen

بَغْدَاد قَريبة – بَغْدَاد بَعيدة
baghdād qarība – baghdād ba´īda
bagdad ist nah – bagdad ist fern

von innen nach außen entsetzen
gewalt gegen gewalt voller atem
los spuck ich auf weißes papier

meine worte sind platt
und rot färbt das blatt sich
am rand tief und schwarz

بَغْدادَتِى قَريبة – بَغْدادَتِى بَعيدة
baghdādati qarība – baghdādati ba´īda
mein bagdad ist nah – mein bagdad ist fern

im duft seiner dichtung schleier gelüftet
im brennpunkt des wissens die sterne berechnet
einst ein riesiges haus voller reime aus sand

und dann dieses zucken im zungengrund
mundwinkel sinken herab
geworfen und wund jede hoffnung

فِى بَغْدادِ مَدِينهَ آباءي
fi baghdādi medīnat ābā´i
in bagdad der stadt meiner väter

ohne gewissheit schreibe ich
inwendig aus mir heraus
reißend tränen und zorn

sehe deine gesichter vor mir
deine adern offene wunden
euphrat und tigris

الْيَوْم فِى بَغْدادَتِى
al yaūm fi baghdādati
heute in meinem bagdad


fließen zusammen
an meinem tisch
ergießt sich ihr sterben

in meiner tinte
zweifach getroffen die stadt
das herz meiner kindheit

    الْيَوْم  فِى بَغْداد ِ السَماءْ بِلا نُجوم  
al yaūm fi baghdādi a-sama´ bilā nudschūm
heute in bagdad der himmel ohne sterne

die runde die heiße die lärmende stadt
gegründet als medīnat a-salām مَدِينهَ ألسَلام
stadt des friedens und gottesgeschenk

gestern geschändet getreten
von männern der eigenen mutter
und heute zerfetzt von fremden gesichtern – und morgen

الْيَوم يَا بَغْدادَتِى سَماءُكي بِلا قَمَر أخضَر
al yaūm yā baghdādati sama´uki bilā qamar achđar
heute oh mein bagdad ist dein himmel ohne grünen mond – und morgen

wirst du je wieder lachend träumen mit deiner oud
wirst du je wieder glänzen mit den augen deiner kinder
wirst du je wieder singen den maqam deiner dattelpalmen


بَغْدَاد قَريبة – بَغْدَاد بَعيدة
baghdād qarība – baghdād ba´īda
bagdad ist nah – fern ist bagdad

noch ist es nicht
schon zu spät

noch ist es nicht
schon zu ende

noch ist es nicht

Printversion (pdf)

 

Hörversion (mp3; ca. 4 MB; ca. 5 min)

Gelesen vom Autor.
Dazu:
"die vorsichtige anmerkung einer leisen ahnung" >>

 

semier insayif, geb. 1965 in wien, lebt ebendort als freier schriftsteller. lesungen und sprachperformances im in- und ausland, veröffentlichungen in literaturzeitschriften, kunstkatalogen, anthologien. bisher drei gedichtbände, zuletzt "libellen tänze" (gedichte und musik), haymon verlag, innsbruck 2004  >>